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„Dein Küken heißt Papili …“, sagte Idis sanft. „Es trägt Zauberkräfte in sich.“ Lena schrak erneut aus ihren Gedanken auf. Mittlerweile hatte sich Idis mit ihr an den Tisch gesetzt und lächelte. „Und nachts erscheint hier im Haus sein wahres Potenzial: Sephora“, sagte Idis ehrfurchtsvoll.

„Seit Jahren schon erscheint Sephora immer nachts. Sie ist der Ausdruck von Papilis und damit deinem wahren Potenzial. Dies passiert, seit du, Lena, dich als kleines Mädchen in dein Herz geflüchtet hattest.“

Lena schaute etwas verwirrt und fragte sich:„Als kleines Mädchen in mein Herz geflüchtet?“ Aber Idis fuhr bereits fort: „Zunächst erschien Sephora als ein junger Vogel, aber dann wurde sie immer älter, genauso, wie du, nur dass sie für dich Nacht für Nacht dein Potenzial weiterentwickelt hat. Du hast in dieser Zeit das Leben gelebt, welches die äußere Welt dir vorgegeben hatte. Dabei hast du eine Menge gelernt, dein wahres Potenzial hast du aber noch nicht gelebt.“

„Wo ist Sephora jetzt?“, fragte Lena.

„Nun, sie ist nur nachts völlig erwacht, tagsüber ruht sie“, sagte Idis.

„Hm. Und …“, Lena traute sich fast nicht zu fragen, aber dann tat sie es doch, „wo ist eigentlich Papili?“

„Es ist unter den vielen Vögeln hier, aber es hat Angst, zu dir zu kommen, weil es denkt, dass du es vielleicht nicht magst und es nicht mit dir nehmen wirst. Es hat große Angst davor, wieder verlassen zu werden. Deshalb sorge ich jetzt noch ein bisschen für es, bis du eine Entscheidung getroffen hast.“ Idis lächelte sanft, bevor sie fortfuhr, „Denn diese Entscheidung kann nicht so einfach mit dem Kopf getroffen werden, dazu braucht es eine Herzensentscheidung.“

„Was für eine Entscheidung?“, fragte Lena unsicher.

„Deine Entscheidung, Papili zu befreien, für es zu sorgen und dich von ihm leiten zu lassen und somit dein wahres Potenzial zu leben.“ Idis schaute Lena fragend an.

„Puh, das war viel“, dachte Lena und wich etwas zurück. „Das hört sich ja nach einer extrem großen Veränderung an“, sagte sie.

Sie schaute sich im Waldhaus um und nahm die Vögel, das Gezwitscher und Flügelflattern wahr und plötzlich war ihr einfach alles zu viel. Und es brach aus ihr heraus. „Ich verstehe dies alles nicht, ich möchte doch nur gesund werden und mein altes Leben wieder haben! Die Vögel hier machen mich fast verrückt! Und überhaupt, es ist so dunkel hier, wieso hat dieses Haus aber auch keine Fenster?“

Idis spürte Lenas Schmerz und auch, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.

„Die Fenster des Hauses verschlossen sich, als du dich als kleines Mädchen in dein Herz flüchtetest, weil du dich dort sicher und geborgen fühltest“, erwiderte sie mitfühlend. „Es gibt nur diese eine Tür und auch diese kann nur ich von Zeit zu Zeit öffnen. Seit deiner Flucht in dein Herz damals, gibt es zwei voneinander getrennte Welten, deine Innenwelt und die Außenwelt. Und so kam es, dass die Fenster nur durch dich geöffnet werden können, wenn du Papili befreit hast. Dazu wirst du dich auf eine lange Reise begeben und verschiedene Prüfungen bestehen müssen. Wenn das geschehen ist, wird etwas sehr Besonderes passieren, worüber ich dir aber noch nichts erzählen darf. Dann wirst du Papili befreit haben und gleichzeitig dein wahres Potenzial, das, welches Sephora Nacht für Nacht für dich weiterentwickelt hat. Und schließlich wirst du deiner wahren Bestimmung folgen und sie für andere in die Welt bringen.“

Idis schaute Lena an und versuchte zu erkennen, ob sie den tiefen Sinn ihrer Worte erkannt hatte. 

Und ja, Lena wurde neugierig. Im „Prüfungen bestehen“ war sie ja schließlich immer sehr gut gewesen, daher könnte sie das womöglich schaffen. Und selbst wenn es nicht klappte, war es doch vielleicht einen Versuch wert. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass dies hier ihre große Chance war. Diese Sehnsucht in ihr … und all das, was die alte Frau soeben gesagt hatte, das alles passte doch irgendwie zusammen.

„Was für Prüfungen sind das?“, fragte Lena abschätzend.

„Dazu kann ich dir noch nichts sagen. Wenn die erste Prüfung bevorsteht, wirst du intuitiv wissen, was es zu wissen gibt und du wirst dabei lernen, mehr aus deinem Herzen als aus deinem Kopf zu handeln“, erklärte Idis, „Es geht im Moment lediglich um deine Entscheidung.“

„Aber wie soll ich denn entscheiden, wenn ich nichts dazu weiß“, entgegnete Lena halb verzweifelt. Aber dann bemerkte sie etwas Seltsames. Sie spürte plötzlich, … dass sie sich bereits entschieden hatte. Und zwar mit ihrem Herzen. Nur war sie so auf ihren Kopf fixiert gewesen, dass sie es erst gar nicht verstand. Sie senkte den Blick und sagte nichts.

Idis hatte in ihr Herz gesehen und sagte: „Ich werde dir alles beibringen, was du dazu brauchst, aber du musst es auch wirklich wollen.“

„Sei dir bewusst, dass, sobald du dich wirklich entschieden hast, es keinen Weg mehr zurück gibt. Denn mit deiner Entscheidung wirst du Papili kennenlernen und noch nie hat sich eine Frau danach noch einmal umentschieden. Sobald du Papili kennengelernt hast, bist du mit ihm auf unzertrennliche Weise verbunden und eine Umentscheidung wäre fast unmöglich.“ Nun lag etwas Strenges in Idis‘ Blick und Lena wurde plötzlich bewusst, welche Tragweite ihre Entscheidung haben würde.

Idis fuhr mit ihrer Erklärung fort. „Daher wird es eine sogenannte Reifezeit geben. Es werden zwei bis drei Wochen sein, in welchen du alles, was du brauchst, um deine lange Reise anzutreten, erfahren und lernen wirst. Jetzt ist es aber erst einmal wichtig, dass du dich für diese Etappe entscheidest. Dann werden wir sofort mit dem Training beginnen.“

Gerade, als Lena etwas erwidern wollte, verschwamm alles vor ihren Augen und plötzlich lag sie wieder in ihrem Bett, umhüllt von ihren vielen weichen Kissen, und blickte an die Zimmerdecke.

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Anna Breitenöder,
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