Da sah Lena im Halbdunkel plötzlich einen Spiegel vor sich stehen. Das Licht im Raum war nur noch ganz fahl und Lena konnte erkennen, dass die schwache Lichtquelle  von der goldenen Truhe herkommen musste.

„Aber wieso ist es plötzlich so dunkel?“, fragte sie sich. Sie erinnerte sich, dass es Papili gewesen war, das die ganze Zeit über Licht verströmt hatte. Darum konnten die beiden zuvor auch alles gut sehen.

Aber jetzt sah sie kaum mehr etwas. Auch konnte sie den Treppenaufgang nicht mehr erkennen und fühlte sich plötzlich sehr orientierungslos. Vor ihr stand dieser seltsame Spiegel, und in ihm nahm sie sich selbst als einen dunklen Schatten wahr.

In diesem Moment brach alles über sie herein! „Die schwarze Gestalt im Spiegel ist ein Niemand!“, schoss es ihr durch den Kopf. „Ich habe mein ganzes Leben verschwendet, denn wenn alle Erinnerungen ein bloßes Nichts waren, wenn es alles nichts wert war, was ist mir denn dann geblieben?“, dachte sie und das Engegefühl in ihrer Brust spitzte sich zu.

Krampfhaft versuchte sie, sich an Gutes zu erinnern, jedoch fiel ihr einfach nichts ein, so sehr sie sich auch anstrengte. In diesem Moment war ihr eines ganz klar. „Ich bin eine Versagerin! Alles, was ich bisher erlebt habe, auch seit ich Idis das erste Mal getroffen habe, das alles ist nichts wert! Denn es ist alles ein Traum, nichts ist wahr und real! Und alles, was ich hätte tatsächlich erreichen können, habe ich nie in Angriff genommen, sondern ich bin immer den sicheren Weg gegangen und habe das gemacht, was die anderen von mir wollten!“

Da wurde ihr bewusst, dass sie das selbst so gewählt hatte, denn sie hatte Angst gehabt.  Schon ihr  ganzes Leben lang hatte sie Angst gehabt. Doch dann wurde ihr plötzlich klar, dass sie gar nicht wusste, wovor sie eigentlich Angst hatte.

Sie überlegte und wurde nun auch etwas ruhiger. Ihr Blick fiel wieder in den Spiegel auf die dunkle Gestalt vor ihr, die Gestalt, die sie selbst widerspiegelte, und in diesem Augenblick wurde ihr noch etwas anderes klar. „Ich habe … Angst vor mir selbst. Immer noch.“ Da wünschte sie sich, noch einmal geboren zu werden und eine neue Chance zu bekommen. Aber das würde natürlich nicht passieren.

Sie ließ sich auf den Boden nieder, um die dunkle Gestalt nicht länger ansehen zu müssen. Jedoch wanderte der Spiegel mit ihren Bewegungen mit und blieb vor ihren Augen stehen, egal wie sie sich drehte oder wohin sie auch schaute.

„Na gut“, dachte sie erschöpft. „Ich muss etwas tun, irgendetwas muss ich doch jetzt tun, und rückwärtsgehen darf ich ja nicht.“ Aber da erinnerte sich Lena daran, dass sie von Idis die Fähigkeit bekommen hatte, in andere Menschen hineinblicken zu können. Also nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und blickte tief in die dunkle Gestalt hinein.

In diesem Moment erhellte sich die schwarze Gestalt und mit ihr der ganze Raum und Lena sah in ihrem Spiegelbild das kleine Mädchen, das sie einst gewesen war.

Da brach es aus Lena heraus und sie musste herzzerreißend weinen. Wieso genau, wusste sie selbst nicht ganz. Aber, dass es wichtig war und dass sie jetzt weinen durfte, das war ihr klar. Und so weinte sie eine ganze Weile, bis sie keine Tränen mehr hatte, und schaute dann wieder in den Spiegel hinein und sah, dass das kleine Mädchen sie die ganze Zeit still und geduldig beobachtete. Nun bemerkte Lena, dass es ihr etwas reichen wollte.

Sie war zwar verdutzt, aber streckte dann intuitiv ihre Arme aus, um es entgegenzunehmen. Es war eine kleine Kastanie.

„Eine Kastanie?“, wunderte sich Lena und schaute die kleine Herbstfrucht genauer an. „Ja, es ist eine einfache kleine Kastanie!“

Das Mädchen schaute Lena strahlend an. „Für dich!“, sagte es zu ihr und schaute erwartungsvoll, ob Lena sich auch freuen würde.

Lena huschte ein Lächeln über die Lippen. „Danke!“, erwiderte sie. „Das ist sehr lieb von dir. Ich mag Kastanien. Sie sind hübsch und fühlen sich gut an.“

Das kleine Mädchen freute sich und hüpfte dann davon, um neue Kastanien zu suchen.

Lena war durch diesen Zwischenfall so aus dem Konzept gebracht worden, dass sie lächeln musste. „Eine Kastanie! Ja. So einfach kann es sein“, dachte sie.

„Das will ich wieder! Mich an Kastanien erfreuen können.“ Und da spürte sie mit einem Mal eine unbändige Kraft in sich aufsteigen. In diesem Moment entfuhr ihr ein gewaltiger Schrei und sie rief, so laut sie konnte: “Ich bin frei!” Dann lachte sie laut und rief noch einmal: “Alles Kuhmist! Ich will Kastanien!”

Eilig rannte sie die Treppe empor hinauf in den oberen Raum, wo Idis ganz gemütlich am Tisch saß und etwas schrieb. Papili saß auf dem Tisch und beide schauten Lena etwas verdutzt an, als sie so hektisch durch die Tür platzte

Dann aber begann Idis über beide Ohren zu lachen und ihre Augen strahlten Lena an.

„Alles Kuhmist!“, sagte Idis und zwinkerte Lena zu.

„Ja!“ Lena setzte sich mit einem Plumps auf den einzigen freien Stuhl, der noch herumstand. „Und jetzt trinke ich erst einmal einen Tee!“

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Herzensgrüße,
Anna